Das Unverständnis gegenüber dem Kreuz.
Am Beispiel Islam.
Bekanntlich lehnt der Islam das Kreuz Jesu ab. Und er lehnt generell das Sohn-Sein Jesu Christi und darüber hinaus die Trinität Gottes ab. Dies fällt unter den schlimmen Häresie-Vorwurf der „Beigesellung“ zu Allah („schirk“) und gefährdet dessen Einheit („tauhid“). Eine der schlimmsten Sünden gegenüber Gott.
Jesus wird allenfalls als Prophet verstanden und durchaus auch geehrt oder verehrt. Aber das Kreuz wird: abgelehnt, nicht verstanden, geleugnet. Ein Prophet Gottes kann so nicht sterben. Gott würde zu ihm stehen und ihn aus jeder Notlage retten.
Ein neueres und interessantes Beispiel für die Ablehnung des Kreuzes aus religiösen und ästhetischen Gründen ist Navid Kermani.
Der 1967 geborene Deutsch-Iraner sollte als Muslim im Jahr 2009 den Hessischen Kulturpreis verliehen bekommen für seine Verdienste um den interreligiösen Dialog, zusammen mit einem Katholiken, einem Protestanten und einem Juden.
Doch die Preisverleihung wurde abgesagt, weil Kermani im Vorfeld in der Neuen Zürcher Zeitung eine Polemik gegen das christliche Kreuz geäußert hat. Der Schriftsteller und habilitierte Islamwissenschaftler, Autor des Buches „Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran“, 2000 erschienen, hält das Kreuz nämlich für Gotteslästerung und Blasphemie. Für eine heidnische Verklärung und Verherrlichung von Gewalt.
„Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich des (!) Kreuz rundherum ab. Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf daß wir den Schöpfer erkennen.“ (Zitat aus: Thomas Assheuer: Ein Gotteslästerer? in: Die Zeit Nr. 22, vom 20. 5. 2009, S. 55; Schreibfehler belassen).
Kermani läßt seiner Empörung freien Lauf. Er hält das christliche Kreuz für - unter anderem - eine Ontologisierung von Opfer und Gewalt; eine Verklärung des Blutopfers; eine Anbetung des Tragischen; ein vorreligiöses Einverständnis mit der Welt; einen mythologischen Rest; eine Art Pornographie des Martyriums. Und er zieht Parallelen zum Schiitentum mit vergleichbaren Zügen der Verherrlichung des Martyriums. Für Kermanis Großvater (und gewiss für ihn selbst) sei das Aberglaube.
Wir sehen also ein gutes Beispiel für die islamische Haltung gegenüber dem Kreuz, die sich eigenartig deckt mit der Einstellung von atheistischen Philosophen und sonstigen Gutmenschen (auch entsprechenden Christen vom Typ „Publik-Forum“-Leser), die das Kreuz ablehnen, weil sie sagen: Mit einem Gott, der Blut sehen will, will ich nichts zu tun haben. Ich will nicht, daß jemand anderes für mich stirbt.
Dahinter steckt die komplette Verkennung der Bedeutung des Kreuzes für Christen. Ein Außenstehender mag - prima vista - den Eindruck bekommen, daß Christen das Kreuz „anbeten“ und deshalb die Darstellung von Gewalt gewissermaßen „gut finden“ würden. Leider erwecken gewisse christliche Kreise gelegentlich diesen verkehrten Eindruck. Ebenso manche ältere Kirchenlieder.
Aber es verhält sich genau gegenteilig. Das Kreuz ist eine Darstellung des Leidens Gottes an der Welt und ein Spiegel für das Leid des Menschen in dieser Welt. Die Welt, wie sie ist und wie der Mensch sie vorfindet, ist nicht gut. Sie ist voller Gewalt, Bosheit und Leiden. Die Klage darüber wird uns am Kreuz vor Augen gestellt. Die Liebe, die von Gott kommt, wird vom Bösen getötet. Dies hat sich historisch in Jesus gezeigt. Dies wird theologisch und mit vielen mythologischen Anreicherungen in der Bibel literarisch dargestellt.
Doch zeigt sich hierin eine ontologische Erkenntnis: Die Grundkraft der Welt ist nicht die Liebe, sondern die Aggression, die Gewalt, das Böse. Und dies ist ein Ergebnis der Selbstbezogenheit, des Kampfs aller gegen alle.
Die Entlarvung dieser oft verhüllten Tatsache geschieht am Kreuz. Seht her! So ist die Welt!
Biblisch wird dieser Sachverhalt als „Sünde“ bezeichnet. Als Abfall von Gott und seinem Primär-Willen des Seins als Liebe.
Auf die gesamte Schöpfung übertragen, benennt es der Apostel Paulus so, daß die „ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“ (Römer 8, 22). Sie sehnt sich nach Erlösung.
Nicht nur die Menschen; auch die gesamte Schöpfung ist vom Sündenfall betroffen. Auch und gerade in ihr herrscht das böse Prinzip der Gewalt: Fressen und Gefressenwerden. Leben auf Kosten anderer.
Was Paulus empfunden und theologisch mit seiner Kreuzestheologie verknüpft hat, ist seine Erkenntnis des „Darwinismus“ auf der ontologischen Ebene. Es herrscht keine Liebe auf der Welt, sondern Egoismus und Gewalt.
In jedem Biotop tobt ein kleiner Krieg. Jedes Stück Natur, sei es ein Gebüsch, eine Wiese, ein Bach, jede Handvoll Erde ist Schauplatz des Prinzips: Wer frisst wen? Da herrscht Jagen und Gejagt-Werden. Räuber und Beute. Überall. Ja, selbst im Weltall gibt es das Phänomen des Kannibalismus’ unter Galaxien, wenn eine große Galaxie eine kleine anzieht und schluckt.
Dass das dann auch noch schön und idyllisch aussieht, jedenfalls für den außenstehenden Betrachter, angefangen vom „idyllischen“ Bachufer bis zum Sternenhimmel, ist eine besondere Raffinesse und „Fiesheit“ der Natur. Diese sollte recht eigentlich nicht nur „Natur“ heißen (von nasci = gebären), sondern auch „Mortur“ (von morior = sterben). Denn sie ist ein Geborenwerden-Sterben-Kontinuum. Stirb und werde!
Diese Tatsache der Schöpfungs-Grausamkeit wird geleugnet, wenn die Erkenntnis Gottes sich allein in einem Lob der Schöpfung erschöpft.
Also auch, wenn Kermani zu uns Christen sagt:
“Fangt noch einmal von vorn an, lest eure Bücher noch einmal; lasst ab vom Opferglauben, entsagt der Gewalt, und entdeckt das Gemeinsame aller Religionen, das Lob der Schöpfung und das Staunen über ihre Schönheit. In der ästhetischen Erfahrung der Religion, so lautet Kermanis Pointe, entbirgt sich deren ethischer Kern. Denn wer im Licht der heiligen Schrift das Wunder der Schöpfung erkennt, der wird ihr seinen Dank abstatten. Und worin besteht der Dank an die Schöpfung? Im Frieden. „Gott ist schön“.“ (ebd.)
Das ist nett gesagt. Aber wo sollen der Friede und das Gute herkommen? Aus der Schöpfung? Wie sollte das gehen? Die Natur ist a-moralisch. Sie ist wie sie ist. Mitleidlos.
Sicherlich kann man die Schöpfung auch als schön betrachten. Sie sieht ja teilweise sogar verdammt schön aus! Aber diese ästhetische Sichtweise ist nicht diejenige des Christentums.
Hier stehen sich also zwei Anschauungen gegenüber:
Die Schöpfung, die Welt als Ort der Grausamkeit (Christentum) - oder die Welt als schöne Erscheinung (Islam).
Das Christentum hat sich für die prinzipiellere und radikalere Betrachtung entschieden. Weder das Kreuz noch Jesus selbst sind als schön zu bezeichnen. Der Schein wird vielmehr entlarvt und die nackte Wahrheit kommt zur Darstellung. Das Leid. Und damit das Leiden Gottes an der Welt. Und wohlgemerkt: Das Leiden Jesu ist immer das Leiden Gottes! Nur in dieser Interpretation macht das Kreuz theologisch Sinn. Ansonsten wäre es in der Tat Sadismus und Gewaltanbetung.
Das Leiden Gottes soll das Mitleiden (Sym-pathie) des Menschen erregen, dergestalt, daß er in sich dem Weg der Gewalt (des Bösen, des Selbstsüchtigen) entsagt und den Weg der Liebe wählt (Hingabe, Selbst-Losigkeit). Dieser Weg führt zwar nicht am Leiden und an der Gewalt vorbei (die dann passiv erlitten wird), aber nur dieser Weg führt über die Gewalt hinaus in Richtung Liebe. Es ist ein Weg der Überwindung. Überwindung auch der (bösen) Natur im Menschen.
Auch die Aufforderung Jesu in der Bergpredigt, die andere Backe hinzuhalten, ist kein Schwachsinn eines naiven Träumers, sondern ein mutiger Schritt der Überwindung der Gewalt durch das Aufsprengen des Teufelskreises von Reiz und Reaktion; Täter und Opfer.
Die Kreuzesdarstellungen im Christentum sind keineswegs als Verherrlichung von Gewalt zu verstehen im Sinne eine Anbetung von etwas Positivem. Als ob das Kreuz als römisches Hinrichtungsgerät anbetungswürdig wäre. Im Gegenteil. Es wird ein negatives Prinzip vorgeführt. Der Schrecken wird dargestellt als Anprangerung und Anklage gegenüber dem, was nicht sein soll.
Die Welt, wie sie ist, soll so nicht sein und nicht so bleiben.
Das Positive selbst kann jedoch nicht dargestellt werden. Wir würden schnurstracks bei religiösem Kitsch landen. Insofern ist das Kreuz Ausdruck einer grundsätzlich negativen Theologie.
Was das Gute (Positive) ist, kann jeweils nur Gott, der Heilige Geist, bewirken; und nur im Verbund mit dem Menschen. Das liegt nicht einfach objektiv vor. Das kann man auch nicht distanziert betrachten. Und es ist nicht vor unseren Augen wie die Natur. Die zwar schön erscheint (grausamerweise), aber nicht gut ist. Denn ihre Schönheit ist eine Trügerische.
Wahre Schönheit aber ist auch gut. Und umgekehrt. Es ist nicht die blenderische Schönheit einer Oberfläche, sondern die Schönheit einer Tat, die das böse Prinzip überwindet.
Deshalb ist die Tat des barmherzigen Samariters nicht nur gut, sondern auch schön zu nennen.
Überall da, wo ein Mensch sich überwindet, ist er schön. Da strahlt etwas auf von einer jenseitiger Schönheit, die nicht in der Natur liegt. Eine Schönheit nicht von dieser Welt. Ein Ereignis, wo Ästhetik und Ethik zusammen fallen.
Dies wusste auch ein mittelalterlicher Muslim wie der Sufi-Mystiker Ibn Arabi (1165-1240): „Jedes Mal, wenn wir uns überwinden, machen wir etwas Unsichtbares sichtbar.“ So steht im andalusischen Cordoba auf einer Tafel zu lesen.
Ja. Gott ist schön! Weil Gott gut ist. Und ein Mensch zu sein, ein wahrer, weil liebender Mensch: Das ist schön und gut.
Auch der berühmte Satz von Fjodor Dostojewski, den dieser den Fürsten Myschkin im „Idiot“ sagen läßt: „Die Schönheit wird die Welt erlösen“, ist kein Widerspruch zu dem Gesagten.
Es geht dabei um eine innere Schönheit, um das ethisch Kraftvolle, um wahre Humanität; nicht um äußere Makellosigkeit.
Doch dahin ist es noch ein weiter Weg. Bis die Schönheit nicht mehr vom schönen falschen Schein korrumpiert wird, und das Gute nicht von Moral angesäuert wird. Wenn die Schönheit und das Gute zusammenfallen. Dann ist die Erlösung da.
So lange werden wir noch den Sternenhimmel und das Bachufer, die Landschaft und wohlgeformte Menschen betrachten und sagen: „Wie schön!“ Wissend, das das nur ein Teil der Wahrheit ist.
PS.: Nach einem in „sachlicher, offener und respektvoller Atmosphäre“ (Stuttgarter Zeitung vom 31. 8. 2009) geführten Gespräch zwischen dem Mainzer Kardinal Karl Lehmann, dem hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker, Salomon Korn vom Zentralrat der Juden und Navid Kermani sind die Beteiligten der Ansicht, daß die Preisverleihung im Herbst des Jahres 2009 doch noch stattfinden könne.